Unter anderem.
Über das Mediale und das Materielle

Christoph Bruckner

Die Frühgeschichte des Medialen in der Malerei begann in den 1960er-Jahren mit der Verwendung medialer Bilder in der Pop-Art, etwa bei Robert Rauschenberg oder Andy Warhol und beim Abmalen von Fotografien durch Gerhard Richter. Die Prophezeiung, die sich Gerhard Richter Mitte der 1960er-Jahre ins Tagebuch schrieb – „Man kann überhaupt nur so malen, wie ich es tue.“ 1, also nach fotografischen Vorlagen –, hat sich übererfüllt. Nach den regressiven 1980er-Jahren, in denen das Mediale scheinbar vom Subjekt überformt wurde, bekamen jene Positionen Aufmerksamkeit, die die Malerei wieder in Bezug zu anderen Medien setzten, wie Marlene Dumas oder Luc Tuymans, der in den frühen 1980er-Jahren die Malerei zeitweise zugunsten des Filmemachens aufgegeben hatte. Diese Positionen waren enorm einflussreich auf die gegenständliche polnische Malerei in den 1990er-Jahren, als sich ein allgemeines Bewusstsein für die mediale Gebundenheit aller Bildproduktion zu entwickeln begann. Im neuen Jahrtausend intensivierte sich dieser Problemzusammenhang unter den bildpolitischen Vorgaben des Internets zu einer zunehmenden Mobilität malerischer und medialer Bilder zwischen den einzelnen Medien und Formaten, was auch die Diskussionen um das Postmediale wieder an die Oberfläche spülte.
In der Arbeit des Malers Drago Persic finden sich viele dieser historischen wie zeitgenössischen Diskurse wieder. Entwicklungsgeschichtlich an erster Stelle steht die Verwendung fotografischer und filmischer Bildvorlagen. So wählte Persic für seine letzte Serie auf Leinwand Bildvorlagen aus Bernardo Bertoluccis Prima della rivoluzione (Vor der Revolution), Michelangelo Antonionis Zabriskie Point, Leni Riefenstahls Propagandafilm Olympia aber auch ein Blumenstillleben von Jan Brueghel dem Älteren, Giambolognas Skulpturengruppe Der Raub der Sabinerinnen und eine selbst fotografierte Ansicht des Wiener Donaukanals. Zwischen den einzelnen Medien Fotografie, Film, Malerei und Bildhauerei sind bei Persic wie generell im 21. Jahrhundert vielfältige mediale Transfers ins Rollen gekommen. Die erste Beschreibung eines solchen post-medialen Bewusstseins stammt von der Kunsthistorikerin Rosalind Krauss in ihrem Buch A Voyage on the North Sea. Broodthaers, das Postmediale. 2 Krauss beschreibt die neue Medienunspezifität in Abgrenzung zu Clement Greenbergs modernistischem Konzept einer fortschreitenden Spezifität der einzelnen Medien anhand von Broodthaers’ Arbeiten in Film, Fotografie, Skulptur, Zeichnung, Malerei, Performance und Installation. In Zeiten des Internets entstanden für die intermedialen Transfers von Bildern dann nochmal ganz eigene Sprachregelungen. Die Essayistin und Künstlerin Hito Steyerl schreibt in diesem Zusammenhang von „Zirkulationismus“, Oliver Laric von „Versionen“ und in der Nomenklatur von Seth Price heißt das Ganze „Dispersion.“ 3 Persics Arbeiten haben durch ihre fotorealistische Schwarz-Weiß-Ästhetik oft eine sehr klassische Anmutung. Was das frei Fluktuierende von digitalen und analogen Bildern betrifft, ist seine Malerei wohl keine im eigentlichen Sinn Post-Internet-Kunst, begegnet dieser aber absolut auf Augenhöhe. Wie in der Generation der Post-Internet-Künstler*innen erscheint der Körper bei Persic meist in fragmentarischen Ausschnitten, Repräsentation ist nicht das Ziel einer solchen Vorgangsweise. Obwohl auch in der Kunst der Post-Internet-Generation vielfältige Bezüge zur altmeisterlichen und antiken Kunst zu finden sind, holt er historisch meist weiter aus. Der Ausschnitt aus Bertoluccis Revolutionsdrama, den Persic verwendet, könnte auch eine barocke Darstellung des David-und-Goliath-Themas sein, bei der David in der einen Hand sein Schwert und in der anderen Hand den abgeschlagenen Kopf des Goliath hält. Mit Aby Warburg könnte man die Darstellung als eine „Pathosformel“ bezeichnen, also als formalisierten Gefühlsausdruck, der sich in figurativen Darstellungen über Zeiten und Epochen hinweg fortsetzt. Ohne einer Zeitlosigkeit das Wort reden zu wollen, scheint es diese Überzeitlichkeit bildlicher Formeln zwischen Malerei, Fotografie, Film und Skulptur zu sein, die Persic interessiert.
Manche Elemente von Persics Bildprogramm lassen sich zeitlich genauer zuordnen, wie zum Beispiel die Modi des Verdoppelns und des Überlagerns. Sie verweisen auf die Anfänge des Digitalen als Modus malerischer Bildproduktion in den 1990er-Jahren. Im Katalog zu der von Peter Weibel kuratierten Ausstellung Pittura / Immedia beschreibt Thomas Dreher die Bildfindungen von Malern wie Peter Halley, Jonathan Lasker oder David Reed vor dem Hintergrund zeitgenössischer „Alltags-Bildmedien“ und Bildbearbeitungsprogramme.4 So waren Laskers Bilder aus dieser Zeit wie in einer Bildbearbeitungssoftware aus verschiedenen distinkten Ebenen aufgebaut. Das Fenster als Organisationsmodell von Bildschirmmedien und Browsern findet sich etwa in der Arbeit von David Reed, den Persic in den späten 1990er-Jahren rezipiert hat. Der Modus der Überlagerung von Bildschirmfenstern nach den strukturellen Vorgaben von Computerbildschirmen taucht auch heute noch auf, nicht nur bei Persic, sondern auch in in engerem Sinn medialen Arbeiten, wie zum Beispiel Camille Henrots erfolgreichem Postkolonialismus-Video Grosse Fatigue. Auch hier ist die Unterscheidung zwischen der Malerei wie sie Persic betreibt und den auch nicht mehr so neuen Neuen Medien nicht mehr zielführend, worauf Ende des 20. Jahrhundert schon Stefan Germer hingewiesen hat: „Die Entgegensetzung von ‚Malerei‘ und ‚Medien‘ [...] ist irreführend.“ 5
Der Arbeit von Reed steht Persics Praxis auch abgesehen von der Organisation des Bildraums nahe. Diese Nähe betrifft sowohl den Bezug auf das Medium Film als auch die Darstellung von Räumlichkeit auf einer zweidimensionalen Fläche, die sich bei Reed vor allem der Beschäftigung mit der Kunst des Barock verdankt. Auch Persic bezieht sich immer wieder direkt auf Gestaltungsfragen der altmeisterlichen Kunst, zum Beispiel in seiner Serie gemalter Faltenwürfe. Seine Auseinandersetzung endet nicht bei der Darstellung von Raum auf einer ebenen Fläche, sondern bezieht wie in der Leidener Feinmalerei auch die malerische Umsetzung von im wahrsten Sinne „stofflichen“ Eigenschaften mit ein. Diese Beschäftigung ist weit davon entfernt, eine akademische zu sein, sondern findet in verschiedensten Werkentwürfen auch ihren Nachhall in der unmittelbaren künstlerischen Gegenwart. Als Beispiel kann die Arbeit von Tauba Auerbach dienen, die zerknüllte und gefaltete Leinwände am Boden liegend von der Seite mit einer Airbrushpistole in unterschiedlichen Farben bearbeitet und so das Relief der Faltung malerisch fixiert. Auch Persic nimmt für seine neuen Bilder gefaltete Stoffe als Vorlage für monochrome Umsetzungen, wobei das Neue nicht wie bei Auerbach im angewendeten Prozess liegt, sondern vielmehr in einem neuen Zugang zum Malmaterial. Für seine neuen Arbeiten führte Persic Farbe, die Duchamp vor langer Zeit einmal als industrielle Ready-mades bezeichnet hat, auf konkrete organische und anorganische Pigmente zurück. Diesen Katalog aus Grundfarben verwendet er für monochrome Darstellungen, die mehr wie gedruckt als wie gemalt aussehen, und für unterschiedlich „farbige“ Schwarztöne. Auch diese Praxis ist in gewisser Weise eine janusköpfige. Sie reicht weit in die Geschichte zurück und ist fest in der Gegenwart verwurzelt, ist doch die Beschäftigung mit Materialien ideengeschichtlich und künstlerisch eine Grundkonstante im 21. Jahrhundert und ist doch der Materialismus in Kunst und Theorie eine Absage an den Idealismus der Postmoderne. Grob gesagt behauptet der Idealismus, dass die Wirklichkeit durch unser Denken, unsere Kategorien und unsere Erkenntnis bestimmt ist, dass die physikalische Welt nur aufgrund unserer Wahrnehmung und nicht unabhängig davon existiert: Die Dinge sind für uns und nicht an sich. Jeder Idealismus propagiert den Vorrang des Geistes vor der Materie. Der Materialismus hingegen führt alle Vorgänge und Phänomene in der Welt auf die Materie und ihre Gesetzmäßigkeiten zurück. Er behauptet, dass die Welt unabhängig von uns und unserer Wahrnehmung existiert. Alle Materialismen gehen davon aus, dass die Welt an sich existiert, dass wir sie auch als solche erkennen können und dass selbst Gedanken, Gefühle und das Bewusstsein der Materie entstammen. Der Materialismus postuliert demnach das Primat der Materie über Geist und Bewusstsein. In Persics Arbeit ist der Materialismus aber keine neue Ideologie, die einfach eine ältere abgelöst hätte, das Materialistische und das Idealistische verhalten sich bei ihm komplementär.


1 Gerhard Richter: „Notizen 1964 – 1965“, in: Charles Harrison und Paul Wood (Hrsg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, 2003, S. 903.
2 Rosalind Krauss: „A Voyage on the North Sea“. Broodthaers, das Postmediale. Aus dem Englischen von Sabine Schulz. Zürich – Berlin: Diaphanes, 2008 (Orig. 1999).
3 Leevi Haapala: „Hello World! Living in the Post-Internet Condition“, in: Leevi Haapala, Eija Aarnio und Jari-Pekka Vanhala (Hrsg.): ARS 17: Hello World! Art After the Internet. Helsinki: Kiasma - Finnish National Gallery, 2017, S. 26.
4 Thomas Dreher: „Antiquiertheit der Malerei?“, in: Peter Weibel (Hrsg.): Pittura / Immedia. Malerei in den 90er Jahren. Graz: Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 1995, S. 31.
5 Stefan Germer: „Vorsicht, frisch gestrichen. Thesen zu älteren und neueren Medien“, in: Texte zur Kunst (Sept. 1998): S. 60.


Published 2022
Siva Boja
Verlag für moderne Kunst
ISBN 978-3-903572-39-3